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Reisebericht

Ein Erlebnisbericht von Hans-Dieter Pöhls

Ein erlebnisreicher und nachdenklicher Tag im ärmsten District von Anantapur im Staate Andhra Pradesch in Indien.

Heute, am 29. November 2012, fahren wir mit dem Jeep des Rural Development Trust weit in den süd-östlichen Teil des District Anantapur in Richtung Chennai. Annette Taphorn, die schon seit 13 Jahren in Indien lebt und bestens mit den oftmals schwierigen indischen Verhältnissen vertraut ist und dieses widersprüchliche Land über alles liebt, fährt heute mit Siegrid und mir zu zwei ihrer Patenkinder. Dabei ist eine Übersetzerin, die von der heimischen Sprache Telugu ins Englische übersetzt.

Kurz hinter der Stadt Kadiri biegen wir auf einen Feldweg ab und erreichen bei etwa 30 Grad Sonnenschein das kleine Dorf der Tagelöhner. Die Vincent Ferrer Foundation (RDT) hat hier eine Reihe von funktionellen, kostengünstigen und standardisierten Häuser gebaut sowie eine Schule.

Bei Ankunft scheinen fast alle Dorfbewohner unterwegs zu sein, uns herzlich zu begrüßen und uns Blumenkränze umzuhängen. Freudig empfangen uns die Eltern, alle Verwandten, und viele Kinder. Die beiden Patenkinder halten sich scheu und von dem ganzen Trubel beeindruckt zurück, freuen sich über die mitgebrachten Geschenke und antworten auf die Fragen von Annette nach ihrem Wohlbefinden, Wünschen und Vorstellungen für die Zukunft. Beide haben im vergangen Jahr gute Fortschritte gemacht und werden entsprechend belobigt. Fotos werden geschossen.

Für 18 Euro im Monat wird jeweils einem Patenkind im Jahr der Schulbesuch ermöglicht, der sonst aufgrund der Armut nicht stattfinden würde. Es freut mich zu erfahren, dass ohne Verlust in Verwaltungen der Betrag hier voll „ankommt“ und Gutes stiftet.

Weiter geht die Fahrt in eine raue Bergwelt mit bizarren Felsformationen zu dem staubigen Dorf Gutibayalu. Hier steht als einmalige Sehenswürdigkeit der Thimmamma Marrimanu. Es ist der Name des weltgrößten Banyan Baumes, der bereits im Jahre 1989 als größter Baum der Welt Einzug in das Guinness Buch der Rekorde gehalten hat. Mehr als 600 Jahre alt, hat sich der banyan tree mit seinen 1.500 Luftwurzeln im Kronenbereich auf 5,2 acres (ca. 21.000 qm) ausgebreitet. Die Urwurzel steht in einem kleinen heiligen Schrein mitten im Banyan Wald. Die Hindus dieser Gegend glauben stark daran, dass wenn ein kinderloses Paar „Thimmamma“ die Ehre erweist, sie im nächsten Jahr ein Kind bekommen.

Bewässert wird der banyan tree teilweise von einer nahen Grundwasser Pumpstation. Dort steht auf einem kahlen Feld eine solar betriebene Pumpenanlage. Sonnenschein an gut 350 Tagen im Jahr wird von zwei etwa 2 qm großen, auf Pfosten stehenden Solarpaneelen, eingefangen und von einem Konverter in Strom, frei nach dem Motto: „Die Sonne schickt keine Rechnung“, umgewandelt. Dieser betreibt eine Tieftauchpumpe an, die aus etwa 40 Meter Tiefe Grundwasser nach oben pumpt. Eine einfache, robuste Konstruktion … und was mich als Außenhändler besonders beeindruckte, es ist eine deutsch-indische Kooperation: Solarpaneele von Firma Jain, Indien, und die Solartechnik von Firma Lorentz, aus Henstedt-Ulzburg, Schleswig-Holstein. Die Vincent Ferrer Stiftung hat von diesen dezentralen Solar Pump Systems per Ende März 2013 gesamt 359 Anlagen in 228 Dörfern installiert. Ich finde: eine tolle Leistung, die gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann.

Aber das ganz große Aha-Erlebnis und Highlight, das kam kurz darauf.

Eine Biogasanlage: eine genial einfache, aber höchst wirkungsvolle und kostengünstige Lösung zur Verbesserung der Lebensqualität der ärmsten Bevölkerung im trockensten Teil von Andhra Pradesh bzw. von Indien.

Von Kühen und Büffeln wird der Dung – „Gobar“ ist in Hindi das Wort für Kuhmist und Indien verfügt darüber über einen schier unerschöpflichen Vorrat – eingesammelt und in einen ca. 1 qm fassenden, runden Behälter, der aus lokalen Materialien hergestellt wird, gefüllt. Auf 10 kg Schei… werden 50 Liter Wasser gegeben. Nackte Frauenhände zerquetschen die trockenen Placken und rühren die Masse solange bis diese gut flüssig geworden ist. Die Herausnahme einer runden Blechscheibe erlaubt nun, dass die Masse unter kräftigem Glucksen und Spritzen in den darunter liegenden Fermenter-Behälter abfließt. Dort findet der Fermentierungsprozess statt. Bakterien verwandeln nun die organische Masse in Abwesenheit von Sauerstoff in Biogas, dem Methan. Ein einfacher Hartgummischlauch führt zu einem simplen, zweiflammigen Herd in eine mit Stroh bedachte Hütte. Das Ventil wird geöffnet, mit einem Streichholz das Methangas angesteckt.. . und eine quirlige Flamme entsteht. Der Gasvorrat reicht für 4 bis 5 Stunden Kochen.

Kostenpunkt der gesamten Anlage: umgerechnet etwa 250 Euro. Unglaublich: ein primitiv einfaches, robustes und nachhaltiges sowie wirkungsvolles System. Bereits mehr als 4.000 solcher Mini Bio-Gasalagen hat die Vincent Ferrer Stiftung installiert.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Frauen brauchen nicht mehr viele Kilometer laufen, um Feuerholz einzusammeln. Eine Familie benötigt etwa 2 kg Holz pro Tag. Bäume müssen nicht mehr gefällt werden. Die Wiederaufforstung wird nicht mehr gefährdet und die teilweise Versteppung der Landschaft damit heruntergefahren. Zusätzlich zu Brennholz wird Kerosin zum Kochen verwandt.

Die Familie spart somit beträchtliche Kosten. Die Mutter hat mehr Zeit, sich um die Kinder zu kümmern. CO2 in erheblichem Maße wird eingespart. Der Gesundheitszustand der Bauern verbessert sich erheblich. Vormals litten die Frauen und Kinder bei den traditionellen, ineffizienten Holzöfen permanent unter gefährlichen Rauchgaspartikeln. Augenreizungen und Atemwegserkrankungen waren an der Tagesordnung. Und last-but-not-least entsteht ein sehr nährstoffreiches Substrat, das als Dünger auf die Felder gebracht werden kann.